"Bella Italia". Peter Voigt 1996

Bella Italia – Zuflucht auf Widerruf

Italien, das Ursprungsland des Faschismus, ist für Deutsche, die vor den Faschisten fliehen, eine neue Heimat. Ein Paradoxon – aber für Tausende von Juden bedeutet es das Überleben. Mussolini hält die Grenzen Italiens für alle Deutschen offen: Der Nationalstolz braucht durchaus keine Delirien einer Rasse. Künstler und Schriftsteller, Theaterleute und Denker kommen – im Frühjahr 1938 kommt auch Hitler auf Staatsbesuch nach Rom. Von da an gibt es die ,Achse Rom-Berlin‘ und italienische Rassengesetze nach deutschem Muster.Mit Kriegseintritt Italiens werden die ausländischen Juden interniert. Das Leben in den Lagern ist hart, aber man ist dort relativ sicher vor dem Krieg. Dann, in den Zeiten der deutschen Besatzung, 1943-45, werden die Juden verfolgt, wie in Deutschland: fast 7000 Juden werden in die Vernichtungslager des Ostens deportiert, einige können sich verstecken und überleben.

Über den Film
Der Film BELLA ITALIA folgt den Spuren einiger Emigrantinnen und Emigranten. Überlebende kommen zu Wort: Wie haben sie ihr italienisches Exil erfahren? Wie haben sie die Zeit der Internierung erlebt? Der Film ist aber auch eine Hommage an die Humanität der Italiener und an ihre so begrenzte Willfährigkeit gegenüber dem deutschen Rassenwahn in Zeiten der Besatzung.

Das Thema ist heikel, der Anlaß konkret – und die Umsetzung? Schwierig. Rund 3.500 jüdische Intellektuelle sind nach 1935 aus Deutschland geflüchtet vor dem Faschismus im Vaterland – nach Italien, dem Vaterland des Faschismus. Dieses paradoxe Kapitel Zeitgeschichte griff das Goethe-Institut in Mailand mit seiner Ausstellung ,Bella Italia- Zuflucht auf Widerruf‘ auf, die im vergangenen Jahr (1995) auch in der Berliner ,Akademie der Künste‘ zu sehen war. (…)

Das Lebensgefühl des Exils – ein Widerspruch: das Glück der Flucht, die Demut gegenüber der Fremde, die Angst vor Repressalien. Unter der Sonne Italiens, so scheint es, erging es den Exilanten jedenfalls so gut, daß sie sich nicht mehr als politische Flüchtlinge verstanden, daß beim antifaschistischen Kongreß 1935 in Paris kein einziger Emigrant aus Italien auftrat. Manche Künstler fanden dort sogar zu neuer Schaffenskraft. äMan konnte sich ja auch still verhalten.“

Peter Voigt fügt solche Aussagen mit nüchterner Distanz zusammen, erwähnt im kühlen Off-Ton die politischen Hintergründe von der ,Achse Rom-Berlin‘ ab 1938, von der anfänglichen Duldsamkeit des Mussolini-Regimes gegenüber Juden bis hin zur Inhaftierung in italienischen Lagern. Die Aussagen der Zeitzeugen selbst werden in Voigts Collage allerdings fragmentiert, keine Biographien, sondern Statements werden collagiert zu einem Polit-Puzzle, dessen Versatzstücke sich indes zu einem zusehends dichteren Bild zusammenfügten.

Oft sind es scheinbar kleine Anekdoten, in denen das Grauen durchschimmert. Lautstark diskutierte Heinrich Steiner mit seinem Freund in einem italienischen Lokal Rilke-Gedichte, als sich die Gestapo über das „intellektuelle Geschwätz“ mokierte. Steiners Freund diskutierte unverzagt weiter – und verschwand schon am nächsten Tag. 6746 Juden wurden ab 1943 in deutsche Vernichtungslager deportiert.

Dagegen verblaßt Voigts Stilmittel der Zwischenbilder aus fahrenden Zügen und von dunklen Bahnsteigen, die eher meditativ als dramatisch wirken. Konkret hingegen die Gestapo-Dokumente, die eine Entlassung „durch Erschießen“ bescheinigen. Nicht ganz unproblematisch ist es jedoch, die Aussagen der Zeitzeugen als Passagenwerk einzuflechten, ohne daß dabei die individuellen Lebenswege erkennbar werden.(…) Artur Leyser erinnert sich an den KZ-Kommandanten im Lager Ferramonti Tarsi in Süditalien, der habe auch Jazz gemocht, und später habe es sogar französisches Parfüm zu kaufen gegeben. Mehr noch: die soziale Hierarchie zwischen den gebildeten westeuropäischen Juden und ihren armen Glaubensbrüdern aus dem Osten habe zu Konflikten geführt: „Auch innerhalb des Lagers kam es auf den sozialen Status an.“

Voigt läßt diese disparaten Wahrnehmungen zu, reiht sie kommentarlos aneinander – und so findet auch sein mit Primo-Levi-Zitaten ergänzter und in Stummfilm-Akte (u.a. ,Jugend‘, ,Todesangst‘, ,Die Rettung‘) gegliederter Film zu seiner Form. Es ist ein strenges Dokument über äußere Bedrohung und innere Einkehr, über das Recht auf Anpassung, um zu überleben, und über ein Land, das offenbar, so Voigts Deutung, seinen Ruf als Touristen-und Transitland (zunächst) nicht gefährden wollte. Am Schluß des Films sieht man keine Exilanten, sondern junge Touristen auf dem Rasen vor dem römischen Kolosseum, ein völkerverbindendes Bild, das schon fast wie eine Werbe-Idee des Goethe-Instituts wirkt.

Das Exil als beklemmendes Puzzlespiel zwischen Sehnsucht, Demut und Todesangst – diese schillernde Widersprüchlichkeit lotet Voigts Film behutsam aus. Allmählich wird dabei die kühle Inszenierung zum Vorteil, indem sie sentimentale Momente erst gar nicht aufkommen läßt und die Aussagen als Anstoß, als Herausforderung präsentiert (…).

(Dieter Deul, in: epd Nr. 61, Frankfurt/Main, 7.8.1996)

Deutschland 1996 / 58 Min. / Beta-SP / color
Buch&Regie: Peter Voigt, Beratung: Klaus Voigt
Kamera: Gunther Becher, Ton: Gerd Jäkel, Schnitt: Thomas Malz
Produktion: Tele Potsdam, Co-Produktion mit dem Sender Freies Berlin, Arte und dem Goethe-Institut München