"Bild und Modell", Peter Voigt 2006, Foto: Suhrkamp Verlag

Bertolt Brecht – Bild und Modell

Bertolt Brecht, zu dessen 50. Todestag diese filmische Auseinandersetzung ins Kino kam, hat in seiner künstlerischen Arbeit immer auch mit Film und Photographie gearbeitet. BERTOLT BRECHT – BILD UND MODELL rekonstruiert mit den in diesem Kontext entstandenen Materialien Facetten seines Werks, die man so oder ähnlich noch nie gesehen hat. Mithilfe von Filmaufnahmen, Fotografien und einer im Exil entstandenen Collage-Mappe aus dem Bertolt-Brecht-Archiv in Berlin werden in dieser Zusammenstellung nicht nur einzelne Aufführungen und Arbeitsmethoden Brechts dokumentiert, sondern auch der besondere Zugang des Künstlers zu diesen Medien vermittelt. In einem von Harald Müller geleiteten Gespräch, das dieser filmischen Hommage als Klammer dient, unterhalten sich der Brecht-Schüler Peter Voigt und der Leiter des Brecht-Archivs Erdmut Wizisla unter anderem über diesen bislang wenig beachteten Aspekt eines epochalen Gesamtwerks.

Pressestimmen:
„Brechts Diktum ist heute – im Zeitalter permanenter Bildreize aktueller denn je, dieser Film regt an, sich wieder einmal damit zu beschäftigen.“ (Hamburger Abendblatt)

„Ein Leckerbissen für Literaturfreaks und Kulturbeflissene“ (Filmecho)

„Das ist spannender als alles salbungsvolle Reden über Brecht“ (Berliner
Morgenpost)

„Voigt und Wizisla diskutieren an der Sache, ohne jene Gespreiztheiten, zu denen Zeitzeugen gerne neigen.“ (Berliner Zeitung)

„So spannend können Dokumentarfilme sein!“ (NDR Kultur)

BERTOLT BRECHT

(10.2.1898 Augsburg – 14.8.1956 Berlin)
Brechts Gesamtwerk hat den Status eines modernen Klassikers erlangt. Seine kritische Auseinandersetzung mit Themen wie sozialer Gerechtigkeit, Freiheit und der Verantwortung des Einzelnen, seine Idee des „Epischen Theaters“, das in bewusster Abgrenzung zur traditionellen Dramentheorie eine ständige Reflexion und Bewusstseinsbildung des Zuschauers provozieren wollte und nicht zuletzt seine stilbildenden Theaterpraxis, die einen großen Einfluss auf die theatralischen Darstellungs- und Inszenierungskonzepte der Vor- und Nachkriegszeit hatte, dürften Brechts Bedeutung als einer der wichtigsten Theaterdenker und –praktiker für immer legitimieren.
Seine Biografie ist relativ bekannt: Sohn eines zum Fabrikdirektors aufgestiegenen Arbeiters, Literatur-, Philosophie- und Medizinstudium, seit 1919 Theaterkritiken und erste Stücke,1922 Kleist-Preis für „Trommeln in der Nacht“, seit 1924 Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin. In dieser Zeit Kontakte zur kommunistischen Bewegung, Zusammenarbeit mit Kurt Weil, mit diesem 1930 verantwortlich für den größten Theaterskandal der Weimarer Republik („Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“). Emigration nach der Machtergreifung Hitlers, zunächst in die Schweiz, dann nach Dänemark, Schweden, Finnland, über die Sowjetunion schließlich in die USA, wo er mit dem Schauspieler Charles Laughton eine englische Übersetzung seines Stücks „Leben des Galilei“ erarbeitet. 1948 Rückkehr nach Deutschland, Niederlassung in Ost-Berlin, Gründung des „Berliner Ensembles“ mit Helene Weigel im Theater am Schiffbauerdamm. 1950 legendäre Bearbeitung des „Hofmeister“ von J.M.R. Lenz. Bis zu seinem Tod wohnhaft und arbeitend in der DDR, der gegenüber er trotz vieler Ehrungen ein gespaltenes Verhältnis beibehielt.

MANN IST MANN (1931) – Erste Filmaufnahmen

Erstmals in seiner Theaterarbeit gibt Brecht 1931 den Auftrag, von zentralen Momenten einer Aufführung Filmaufnahmen herzustellen, die als Studienmaterial dienen sollen. Das Objekt dieses Versuchs ist „Mann ist Mann“, die Komödie über die Möglichkeit des Umbaus des Menschen vom Individuum zum Kollektivwesen. Die Ergebnisse: verflackerte Sequenzen, grell, düster, burlesk.
Brecht notiert über das Filmen und das Gefilmte: “Ein sehr interessantes Experiment, ein kleiner Film, den wir von der Vorstellung aufnahmen, indem wir mit Unterbrechungen die hauptsächlichen Drehpunkte der Handlung filmten, so dass also in großer Verkürzung das Gestische herauskommt, bestätigt überraschend gut, wie treffend Lorre [gemeint ist Peter Lorre, der Hauptdarsteller] gerade in diesen langen Sprechpartien den allen (ja unhörbaren) Sätzen zugrundeliegenden mimischen Sinn wiedergibt.“ An der Beobachtung des gefilmten Schauspielers, der seine Rolle nicht mehr verinnerlichen, aber gleichwohl als „Einheit“ präsentieren soll, macht der Autor ein neues Ziel seiner Arbeit fest: „Es gilt hier, ganz neue Gesetzlichkeiten der Schauspielkunst zu konstituieren“.
Die Aufnahmen von einer Gesamtlänge von 52 Minuten sind Bestandteil des Bertolt-Brecht-Archivs und werden in Ausschnitten in dieser Kompilation gezeigt und kommentiert.

LEBEN DES GALILEI – Brecht / Laughton

Brecht lebt seit 1941 in Santa Monica, Kalifornien, in der Nähe von Hollywood, wo er mit mäßigem Erfolg versucht in der Filmindustrie Fuß zu fassen. Dort lernt er den englischen Schauspieler Charles Laughton kennen, mit dem er GALILEI Satz für Satz ins Englische übersetzt. Laughton kann kein Deutsch, Brecht nicht sehr gut Englisch, entscheidend wird die szenische Gestaltung der Hauptfigur durch Laughton. Dieser ist von der verbrecherischen Dimension in der Figur Galileis fasziniert. Mit Brecht erarbeitet er eine Entlarvung der Galilei-Legende vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse – der Atombombenabwürfe in Japan am 6. und 8. August 1945.
Brecht dazu: „Der infernalische Effekt der Großen Bombe stellte den Konflikt des Galilei mit der Obrigkeit seiner Zeit in ein neues, schärferes Licht.“ Die Wissenschaftler erscheinen in diesem Licht als sozial verantwortungslos – sie haben zwar die Welt um neue Erkenntnisse bereichert, deren mögliche Folgen (in letzter Konsequenz: die Atombombe) aber völlig außer Acht gelassen.
Diese amerikanische Fassung wird in einem Privattheater in Beverly Hills 17 Mal aufgeführt, in New York sechsmal (zwischen Juli und Dezember 1947). In Hollywood, wo die Bearbeitung bei einem z.T. prominenten Publikum (Charlie Chaplin, Ingrid Bergman, Anthony Quinn) große Begeisterung hervorrief, hatte Brecht, der bereits wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, von einer Aufführung einen Zeitrafferfilm herstellen lassen, um die Inszenierungsideen für spätere Aufführungen festzuhalten. Auch aus diesem Film sind in BERTOLT BRECHT – BILD UND MODELL Ausschnitte zu sehen.

EPISCHES THEATER – Eine Skizze

Im April 1950 hat am Berliner Ensemble eine von Brecht bearbeitete und inszenierte Aufführung von J.M.R. Lenz’ „Der Hofmeister“ Premiere, dem dieses Stück, das fast zwei Jahrhunderte lang als unspielbar galt, endlich die verdiente Aufmerksamkeit verdankt.
1992 werden im Filmbestand des Bertolt-Brecht-Archivs zwei Filmbüchsen mit der Aufschrift „Hofmeister“ gefunden, völlig unbenutzt. Das Material wird Peter Voigt übergeben, der bereits seit 1951 von den Aufnahmen weiß. Gemäß dem Wunsch Brechts war die Kamera damals unbeweglich in der Mittelloge positioniert und filmte eine Totalansicht der Bühne. Aufgenommen wurde im Einzelbildverfahren, mit zeitlichen Intervallen. Resultat dieser Aufnahmetechnik war eine Hofmeister-Inszenierung von sieben Minuten Dauer, „ein Ameisenhaufen“. Voigt macht 1998 zusammen mit Sebastian Eschenbach und Thomas Malz im Auftrag der Berliner Akademie der Künste die Bilder sichtbar und setzt Probenotate von Brecht dazu. „Der Film ist wunderschön“, merkt Eugen Monk an, „und sagt außerordentlich viel über diese Inszenierung, die ich für die beste aus den frühen Jahren des Berliner Ensembles halte. So wie sie zustande kam, war es nebenbei auch die glücklichste. Es war ein Vergnügen, am Morgen ins Theater zu gehen und zu wissen, dass jetzt wieder vier oder fünf Stunden Hofmeister bevorstanden“. EPISCHES THEATER ist eine authentische, 18minütige Beschwörung dieser Aufführung.

EINE HINTERLASSENSCHAFT

Ende 2004 taucht eine bislang verschollene Mappe auf, die der Dichter Bertolt Brecht im amerikanischen Exil angelegt hatte. 83 Blätter mit ausgewählten Bildern und Bildtexten, ausgeschnitten aus Zeitungen und Magazinen und eingeklebt in diese Mappe. Reflektionen über Hitler, die Nazis und die Welt in Zeiten des Krieges. 1956, am Berliner Ensemble: Ein Adolf Hitler Foto wird gebraucht für ein Programmheft und zwar schnell. Bei Zentralbild, der offiziellen Fotoagentur, wäre ein Adolf Hitler Foto nicht leicht zu bekommen. Ein Adolf-Hitler-Foto zu veröffentlichen unterliegt der Genehmigung. Da bietet Brecht an, mit einem Adolf-Hitler-Foto aus seinem Besitz auszuhelfen. Peter Voigt, ein 22-jähriger Assistent und Schüler Brechts wird losgeschickt, es von ihm zu holen. Der Theaterchauffeur fährt ihn nach Bukow zu Brechts Landhaus. Es ist ein trüber winterlicher Vormittag, an dem es nicht hell werden will. Brecht erwartet Peter Voigt in seinem großen Arbeitraum. Das Foto liegt da, abholbereit. Es ist keine Originalfotografie, sondern eine Reproduktion, aus einer ausländischen Zeitung geschnitten, irgendwann und zusammen mit einem anderen Foto von Hitler auf eine hellblaue Seite geklebt. Die Seite ist eine von vielen Fotoseiten, sie füllen zusammen eine schwarze Mappe. Nicht nur ein Foto also, sondern eine Mappe mit Brechts gesammelten Zeitdokumenten. Sie liegt aufgeklappt auf einem kleinen Tisch. Brecht beginnt, die Mappe durchzublättern, durchzusehen, Seite für Seite, Bild für Bild. Die Mappe ist ein Ertrag der Exiljahre. Er sieht nach, was ihn im Exil beschäftigt hatte und lässt an seiner Seite den Schüler daran teilhaben. In Erinnerung geblieben ist seine Art, diesen Bildseiten zu begegnen, ein eigentümlicher Respekt gegenüber dem Dokument. Vor kurzem erst ist seine „Kriegsfibel“ erschienen, dokumentarische Fotos mit Epigrammen, und jetzt ist diese Mappe ein Hinweis, dass es noch anderes Dokumentarisches gab bei ihm. 82 Blätter mit ausgewählten Bildern und Bildtexten. Es gibt die Kriegsfibel und es gibt diese Mappe, als eine Hinterlassenschaft. Und es gibt Peter Voigts 22minütige filmische Präsentation der Mappe, als Co-Produktion mit dem Literaturforum im Brecht-Haus und der Berliner Akademie der Künste entstanden.

PETER VOIGT UND ERDMUT WIZISLA

PETER VOIGT, 1933 in Dessau geboren, beginnt nach dem Abitur 1952 eine Ausbildung als Bühnenbild-Assistent an den Städtischen Bühnen in Leipzig. Ein Jahr später geht er nach Berlin und ist dort am Berliner Ensemble bei Bertolt Brecht als Regie- und Dramaturgie-Assistent beschäftigt. Fünf Jahre sammelt er hier Erfahrungen und wird dann mit 22 Jahren der persönliche Assistent des Theaterregisseurs Peter Palitzsch. Ab 1959 arbeitet er bei der DEFA als Phasenzeichner und Trickfilm-Regisseur festangestellt, später beim DDR-Fernsehen freischaffend. Er setzt Ideen anderer tricktechnisch um, ab 1969 dreht er selbst Dokumentarfilme (u.a. MARTHA LEHMANN [1972], INTERNATIONALISTEN [1974]). Ende der 70er und in den 80er Jahren arbeitet Voigt parallel wieder mehr am Theater, u.a. mit Heiner Müller. Seit der Wende entstehen mehrere Dokumentarfilme, die große historische Ereignisse in den persönlichen Erlebnissen und Erinnerungen von Menschen widerspiegeln – Voigts Filme glauben an einen klugen Zuschauer, der zu eigenen Schlussfolgerungen und Assoziationen fähig ist. Seit 1998 befasst er sich in einigen Filmen autobiographisch mit Bert Brecht, mit dem er als 20jähriger intensiv zusammengearbeitet hat.

ERDMUT WIZISLA, 1958 in Leipzig geboren, ist Literaturwissenschaftler (Promotion über Brecht und Benjamin), seit 1993 Leiter des Bertolt-Brecht-Archivs und außerdem kommissarischer Leiter des Walter-Benjamin-Archivs (beides in der Akademie der Künste, Berlin). Er lebt in Potsdam. Publikationen (Auswahl): „Glückloser Engel. Dichtungen zu Walter Benjamin“ (Mitherausgeber;1992), „Walter Benjamin und Bertolt Brecht. Eine Bestandsaufnahme“ (1993), „ Wo ich her bin … Uwe Johnson in der DDR“ (mit Roland Berbig;1994), „1898/BERTOLT BRECHT/1998 … und mein Werk ist der Abgesang des Jahrtausends. 22 Versuche, eine Arbeit zu beschreiben“ (1998), „Brecht und Benjamin. Die Geschichte einer Freundschaft“ (2004).

Beide Brecht-Experten kennen das spektakuläre Archivmaterial und sind in der Lage, werkgeschichtliche und biographische Bezüge herzustellen. Darüber hinaus ergibt sich durch Peter Voigts Beteiligung an dieser Zusammenstellung auch ein persönlicher Blick auf Brechts besonderen Umgang mit dokumentarischen Medien. Das Gespräch mit ihm und Erdmut Wizisla moderiert Harald Müller, Mitarbeiter der Zeitschrift „Theater der Zeit“.

"Bertolt Brecht - Bild und Modell", Peter Voigt, 2006
„Bertolt Brecht – Bild und Modell“, Kinoplakat

Bertold Brecht – Bild und Modell
Deutschland 2006, 80 Minuten, s/w & Farbe
Regie: Peter Voigt, Sebastian Eschenbach
Kamera: Alexandra Czok, Olaf Merker, Christian Lehmann,
Schnitt: Thomas Malz
Mit Peter Voigt, Erdmut Wizisla, Harald Müller.
Produzenten: Elser Maxwell und Thomas Malz in Zusammenarbeit mit dem Bertolt-Brecht-Archiv und der Akademie der Künste, Berlin. Mit freundlicher Unterstützung des Suhrkamp Verlags, Frankfurt am Main und der Bertolt Brecht Erben